15. Juni 2020

Ein Jahr E-Scooter: TÜV-Verband fordert höhere Sicherheit und einheitliche EU-Regeln

Nachbesserungen bei der technischen Sicherheit der Fahrzeuge notwendig – Verleiher und Kommunen haben auf anfängliches Durcheinander reagiert – Ausbau der Infrastruktur für neue Formen der Mikromobilität erforderlich

Mehr Flexibilität beim Zurücklegen kurzer Strecken auf der einen Seite. Gefährliche Unfälle, zahlreiche Verkehrsverstöße und herumliegende Fahrzeuge auf der anderen Seite. Seit dem 15. Juni 2019 ist es in Deutschland erlaubt, Elektrotretroller Straßen und Fahrradwegen zu fahren. „E-Scooter haben sich in vielen Städten als zusätzliche Option für die Fortbewegung auf kürzeren Strecken etabliert und sind eine sinnvolle Ergänzung zu Auto, Fahrrad sowie Bus und Bahn“, sagte Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands (VdTÜV). „Die hoch gesteckten Erwartungen an die Elektrotretroller als Teil der Mobilitätswende konnte das neue Fortbewegungsmittel aber bisher noch nicht erfüllen.“ Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands vom Jahreswechsel nutzen erst 1,5 Prozent der Bevölkerung an Werktagen regelmäßig einen E-Scooter. Bühler: „Dennoch sind die Elektrotretroller auch in der aktuellen Corona-Lage auf kürzeren Strecken eine gute Alternative zu überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto.“

Holpriger Start bei der E-Scooter-Einführung

Insbesondere in den Monaten nach der Einführung herrschte vielerorts Durcheinander: Herumliegende E-Scooter im Stadtbild, alkoholisierte Fahrer zu zweit auf dem Gehweg und Lärm beim Einsammeln der Fahrzeuge. „Seit dem Start der E-Scooter haben alle Beteiligten eine steile Lernkurve hingelegt – Nutzer, Verleiher, Verkehrspolizei und auch die Verantwortlichen vor Ort“, sagte Bühler. Die Verleiher haben die Zahl der E-Scooter dem tatsächlichen Bedarf in den Städten angepasst und E-Roller zum Beispiel mit Wechsel-Akkus ausgestattet. Viele Kommunen haben Regelungen für das Abstellen der Fahrzeuge erlassen und Polizist auf Regelverstöße hingewiesen. Viele E-Scooter-Fahrer wussten offenbar nicht, dass sie nicht auf Bürgersteigen fahren dürfen und die gleichen Promillegrenzen wie beim Autofahren gelten. Da besonders viele Touristen mit Leih-Scootern unterwegs sind, sorgten die unterschiedlichen Vorschriften innerhalb der EU für zusätzliche Verwirrung. Der TÜV-Verband setzt sich deshalb in Brüssel dafür ein, die Regelungen für die Zulassung und Nutzung von E-Tretrollern in Europa zu vereinheitlichen: Um nationale Unterschiede bei der Erteilung einer Betriebserlaubnis zu vermeiden, sollten Elektrokleinstfahrzeuge als eigene Fahrzeugkategorie im Typgenehmigungsrecht EU verankert werden.

Zusätzliche technische Sicherheitsmaßnahmen notwendig

Sorge bereitet dem TÜV-Verband, dass es immer wieder zu Unfällen mit zum Teil schweren Verletzungen kommt. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass neben Knochenbrüchen und Schürfwunden viele Unfallopfer Kopfverletzungen erleiden. „Wir empfehlen dringend, bei der Nutzung von E-Scootern einen Helm zu tragen“, sagte Bühler. Der TÜV-Verband befürworte zwar eine Helmpflicht, bisher ist das Tragen eines Helms laut Straßenverkehrsordnung aber erst für Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 Km/h vorgeschrieben. E-Tretroller dürfen nicht schneller als 20 Km/h fahren. Der TÜV-Verband setzt daher auf eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit. „Wie E-Scooter beim Unfallgeschehen im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln abschneiden, können erst mittel- bis langfristige Erhebungen zeigen“, betonte Bühler. Eine entsprechende Datenbasis baue das Statistische Bundesamt gerade auf.

Sinnvolle technische Sicherheitsmaßnahmen sind aus Sicht des TÜV-Verbands eine Ausstattungspflicht mit einem hinteren Bremslicht und Blinkern. „Einhändiges Fahren, um einen Fahrtrichtungswechsel anzuzeigen, ist keine praktikable Option, da die meisten E-Scooter leicht ins Schlingern geraten“, sagte Bühler. Daher sollte eine entsprechende Verpflichtung zur Ausstattung von E-Scootern mit „Fahrtrichtungsanzeigern“ sowie mit Bremslicht in die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) aufgenommen werden. Für jugendliche E-Scooter-Fahrer, die noch über wenig Erfahrung im motorisierten Verkehr verfügen, sei zudem eine Mofa-Prüfbescheinigung sinnvoll. Die Ausbildung vermittelt in sechsmal 90 Minuten grundlegendes Wissen über die Verkehrsregeln und umfasst einmal 90 Minuten praktisches Üben. Es folgt eine theoretische Prüfung mit 20 Fragen. E-Scooter dürfen ab einem Alter von 14 Jahren gefahren werden.

Aus Sicht des TÜV-Verbands wird der E-Scooter erst im Laufe der Zeit sein volles Potenzial entfalten können, wenn die Verkehrsteilnehmer den Umgang damit erlernt und die Verkehrsverwaltungen das Fahrzeug in ihre Planungen einbezogen haben. „Viele Formen der Mikromobilität wie E-Bikes, Lastenräder oder Elektrotretroller haben ihre Berechtigung und werden ihren Platz im Mobilitätsmix der Menschen finden“, betonte Bühler. „Dazu bedarf es einem konsequenten Ausbau der Infrastruktur für diese immer stärker genutzten Fahrzeuge.“

Zum Hintergrund: Die Sachverständigen der TÜV-Organisationen erstellen für Hersteller und Importeure von E-Scootern Gutachten, um beim Kraftfahrtbundesamt eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) für ihre Fahrzeuge beantragen zu können. Die technischen Anforderungen sind in der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung geregelt.

Zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine repräsentative Umfrage der Ipsos GmbH im Auftrag des TÜV-Verbands unter 1.000 Personen zwischen 16 und 75 Jahren. Die Frage lautete: „Welche Verkehrsmittel nutzen Sie an einem gewöhnlichen Werktag?“

Quelle:

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